Unter Eltern und Betreuungspersonen ist das Thema „Trockenwerden“ immer ein wichtiges Thema und nicht selten auch ein Reizthema. Brauchen Kinder heute wirklich länger, bis sie ohne Windel auskommen? Hilft Töpfchentraining oder schadet es doch eher? Und wann spätestens sollte mein Kind seine Blasenfunktion unter Kontrolle haben.
Ist ein Töpfchentraining zum Trockenwerden notwendig?
So oder so ähnlich klingen mehr oder weniger besorgte Eltern. Aber auch unter Betreuungspersonen herrscht immer mal wieder Uneinigkeit. Während die einen beruhigend abwinken: „Das wird schon, nur kein Stress“. Schüttelt so manch andere Erzieherin den Kopf über Eltern die sich nicht durchsetzen können oder vermutet am Ende sogar eine psychische Problematik beim Kind.
Bei der Recherche zu diesem Artikel bin ich gar über Verschwörungstheorien gestolpert, die von einer Windelmafia sprechen, die unsere Kinder möglichst lange in der Windel halten will. Nun ja, der folgende Artikel kann vielleicht helfen ein bisschen Licht ins „Windeldunkel“ bringen…
Die Blasenkontrolle hängt von der Hirnreife ab
Wenn die Blase tags- oder nachtsüber mit Urin vollläuft senden die Nerven in der Blasenwand ein Signal an das Gehirn, dass sie eine Dehnung der Blase registrieren. Bei Babys führt das zur spontanen Entleerung der Blase, ohne dass sie in der Lage sind, darauf Einfluß zu nehmen. Die meisten Babys haben allerdings ein Gefühl dafür, dass die Blasenöffnung unmittelbar bevorsteht und senden dann Signale in Form von Grimassen oder bestimmten Lauten. Wenn Eltern, wie zum Beispiel in verschiedenen anderen Kulturen viel Zeit mit ihrem Kind in körperlicher Nähe verbringen (es z.B. immer im Tragetuch tragen) können sie die Signale aufnehmen und das Baby rechtzeitig abhalten. Das funktioniert für Stuhlgang ebenso, wie für das Urinieren.
In unserer Kultur ist es jedoch nicht üblich auf die Ausscheidungssignale von Babys zu achten, weshalb sie den meisten auch nicht bekannt sind. Werden die Signale nach ein paar Wochen nicht beantwortet hört das Baby auch auf, sie zu senden. (Mehr dazu findet ihr z.B. bei Nicola Schmidt vom Artgerecht-Projekt)
Babys die gewickelt werden dagegen, fangen erst wieder als Kleinkinder an, über die Ausscheidungen zu kommunizieren, wenn sie merken, dass sie in der Lage sind die Blase zu kontrollieren. In der Regel sagen sie dann bescheid und äußern den Wunsch auf Toilette oder Töpfchen zu gehen.
Anfangs ist dieser Vorgang noch relativ „störanfällig“ und kann von verschiedenen Faktoren beeinflusst werden: Häufig gehen Kinder z.B. zu Hause schon sehr zuverlässig zur Toilette, im Kindergarten jedoch geht es häufiger schief, oder das Kind fordert für den Kindergarten oder außerhalb des Hauses sogar ganz konkret die Windel ein.
Wenn viele Reize verarbeitet werden müssen…
Die Situation im Kindergarten kann sich aus unterschiedlichen Gründen anders darstellen als zu Hause:
Da die Kontrolle der Blase eine für das Kind relativ neue Fähigkeit des Gehirns darstellt, kann es sein, dass sie noch nicht so zuverlässig funktioniert und wenn das Kind viele Reize zu verarbeiten hat (zum Beispiel beim Spielen), kann es sein, dass sich die Blase doch nochmal spontan entleert.
Es kann auch sein, dass sich das Kind nicht alleine zutraut zur Kindergartentoilette zu gehen, bzw. sich nicht traut um Hilfe zu bitten. Manche Kind mögen dort auch erstmal gar nicht zur Toilette gehen. Die sanitären Anlagen im Kindergarten unterscheiden sich sehr von der Toilette zu Hause: Oben und unten ist die Tür offen, andere Kinder laufen durch den Raum und vielleicht wird auf der Toilette auch manchmal Unfug gemacht und Kinder geärgert.
Um das Kind an die Kindergartentoilette zu gewöhnen kann man immer beim Abholen gemeinsam nochmal zur Toilette gehen und dem Kind so einen geschützten Rahmen bieten. Wenn man mitbekommt, dass es Kinder gibt, die andere beim Toilettengang stören, sollte die Betreuungsperson ins Vertrauen gezogen werden!
Wenn es nachts noch nicht klappt…
Nachts schaltet die Blase auf eine Art „Nachtbetrieb“: Im Gehirn wird dafür das Antidiuretische Hormon (ADH) gebildet, das dafür sorgt, dass die Urinmenge konzentrierter in der Blase anfällt und somit ermöglicht wird, dass die Blase den Urin länger hält. Durch die Hormonausschüttung muss man also nachts überhaupt weniger zur Toilette. Ein ADH- Mangel kann dazu führen, dass die Blase nachts „überläuft“ und das Kind im Schlaf nichts davon merkt.
Auch Vererbung spielt bei der Blasenkontrolle eine Rolle. Wenn ein oder beide Elternteile spät erst gelernt haben ihre Blase kontrolliert zu leeren, kann das auch auf das Kind auch zutreffen.
Ok, aber wie lange ist das denn jetzt noch normal?
Von Enuresis, also dem Einnässen mit Krankheitswert, spricht man medizinisch gesehen ab dem vollendeten 5. Lebensjahr ( ab 2 „eingenässten“ Nächten pro Monat)!
Enuresis unterscheidet man zunächst zwischen Enuresis nocterna (nachts) und Enuresis diurna (tagsüber), außerdem gibt es die kombinierte Form.
Eine weitere wichtige Unterscheidung ist, ob das Kind bereits mindestens 6 Monate „trocken“ war und nun wieder einnässt (sekundäre Enuresis) oder ob es die vollständige Blasenkontrolle noch gar nicht erlangt hatte hierbei spricht man von der primären Enuresis.
Im Falle der primären Enuresis geht man eher von körperlichen (Reife)Problemen aus, während die sekundäre Enuresis häufig in Folge eines belastenden oder traumatischen Lebensereignisses vorkommen kann.
Wenn dein Kind älter als 5 ist und noch immer nicht zuverlässig bescheid sagt, wenn es muss, dann könnte ein Gespräch mit dem Kinderarzt also durchaus angeraten sein.
(Quellen: http://www.initiative-trockene-nacht.de/bettnaessen/definition-enuresis.html https://de.wikipedia.org/wiki/Enuresis)
Töpfchentraining | Eine Methode aus längst vergangender Zeit
Früher waren die Kinder aber viel früher „sauber“!?
Nun, das ist ein etwas schwieriges Thema. Denn ich denke es geht hierbei hauptsächlich um die Wahrnehmung der eigenen Vergangenheit und der Definition von „Sauber sein“. Früher war es so, dass der Leidensdruck der Mütter ein anderer war. Man hatte Stoffwindeln, die im Vergleich zu den heutigen Plastikwindeln längst nicht so viel und so zuverlässig Flüssigkeit aufnahmen. Ganz zu schweigen von dem Aufwand, den man mit dem Waschen hatte. Geht man jetzt noch davon aus, dass eine Hausfrau mehrere kleine Kinder zu versorgen hatte oder eine Kinderkrippe die Windeln einer ganzen Kindergruppe waschen musste, kann man sich denken, dass die Motivation, die Kinder zur „Sauberkeit“ zu erziehen, deutlich größer war, als das bei modernen Familien heute ist. Ob das aber auch dazu geführt hat, dass die Kinder tatsächlich wirklich früher die Kontrolle über ihre Blasenfunktion erlangt haben, ist zumindest wissenschaftlich nicht belegt.
Mein Eindruck ist viel eher, dass Kinder sehr, sehr viel mehr Zeit auf dem Töpfchen gesessen haben, als Kinder das heutzutage tun. Eine logische Konsequenz davon ist, dass die unwillkürliche Blasenentleerung auch zwangsläufig häufiger in das Töpfchen erfolgte. Weshalb man vielleicht davon ausging, dass die Kinder „sauber“ seien. Wenn dann doch mal das „Pipi“ daneben ging unterstellte man Kindern häufig einfach, dass sie aus Faulheit oder Boshaftigkeit in die Hose gemacht hätten.
Wissenschaftlich jedenfalls gibt keine Hinweise darauf, dass sich die Hirnreifung im Bezug auf die Blasenkontrolle durch Töpfchentraining effektiv beeinflussen lässt!
(Danielle vom Blog gewuenschtestes-wunschkind hat einen sehr ausführlichen Artikel zu dem Thema geschrieben, in dem sie auch auf die Studienlage eingeht.)
Wie sieht es mit der Darmkontrolle aus?
In der Regel gelingt es Kindern leichter die Kontrolle über ihre Darmfunktion zu erlangen. Ein Grund ist sicherlich, dass die Entleerung des Darms zum einen deutlich seltener erfolgt und die Signale sich andererseits über einen längeren Zeitraum aufbauen. Somit gelingt es Kindern leichter zu spüren, dass sie mal „müssen“ und das dann auch zu signalisieren.
Bei der Darmkontrolle gibt es allerdings häufig eine ganz andere Problematik, auf die ich gerne eingehen möchte: Offenbar fällt es manchen Kindern nämlich eher schwer loszulassen, also den Darm regelmäßig zu entleeren. Anstatt zur Toilette zu gehen halten sie den Stuhlgang dann ein. Was allerdings dazu führt, dass der Stuhl im Enddarm immer fester wird und die Ausscheidung letztlich sehr schmerzhaft wird. Daraus kann ein Teufelkreis entstehen, der u.U. zu chronischer Verstopfung führt, die nicht selten medikamentös behandelt werden muss.
Dieses Phänomen ist mir während meiner Arbeit im Kindergarten übrigens deutlich häufiger begegnet als Kinder, die noch lange im Kindergarten eine Windel trugen! Auch deshalb finde ich es so wichtig achtsam mit dem Windelthema umzugehen: Um Kinder nicht unnötig unter Druck zu setzen und am Ende eine schwierige Situation und einen Leidensdruck beim Kind erst herbeizuführen.
Was können Eltern tun?
Grundsätzlich ist meine Erfahrung, dass sehr viel und häufig unnötigerweise über das “Windelthema” gesprochen wird. Denn ähnlich wie beim Essen und Schlafen regulieren sich gesunde Kinder in der Regel selbst, sofern man sie denn lässt.
Häufig geraten Eltern aber unter Stress, weil sie suggeriert bekommen, ihr Kind erfülle bestimmte Maßgaben nicht. Richtig wäre an dieser Stelle, sich mit den eigenen Ängsten und Ansprüchen verantwortungsvoll auseinanderzusetzen. Nicht selten jedoch, wird der Druck aber auf das offenbar nicht funktionierende Kind übertragen.
Töpfchentraining und Sauberkeitserziehung bergen in meinen Augen somit insbesondere im Bezug auf die Eltern-Kind-Beziehung mehr Risiken als Vorteile. Daher die Frage:
Wie können Eltern „das Sauberwerden“ achtsam und entwicklungsfördernd begleiten?
Als allererstes: Druck rausnehmen
Wir können auf die körperliche und vor allem die Hirnreife keinen Einfluss nehmen, in dem wir uns oder das Kind stressen. Im schlechtesten Falle verzögert das den Prozeß durch Vertrauensverlust oder die Entstehung von Versagensängsten o.ä. sogar noch.
Signale wahrnehmen und unterstützen
Beobachte dein Kind. Kannst du feststellen, wann es macht? Falls ja, rede in entspannter Atmosphäre darüber. Das sensibilisiert dein Kind für die Vorgänge seines Körpers.
Selbstständigkeit unterstützen
Wenn dir dein Kind signalisiert, dass es ohne Windel gehen möchte, dann unterstütze dieses Selbstständigkeitsbestreben.
Die Gesamtsituation betrachten
Kinder sind viel beschäftigt. Betrachte doch einmal den Alltag deines Kindes aus seiner Sicht. Was geht da alles vor sich, was macht, lernt, will dein Kind alles. Vielleicht ist momentan einfach etwas anderes dran…
Gelegenheiten schaffen
Vorm Baden, nach dem Zähneputzen, wenn man nachmittags nach Hause kommt, wenn man das Kind im Kindergarten abholt, vor dem Essen: Zur Toilette gehen… Gelegenheiten zu Gewohnheiten machen! Wichtig ist, das es um ritualisierte Abläufe geht, Druck aufzubauen ist nicht nötig und auch nicht sinnvoll. Einfach schauen, ob was kommt.
Toilettentourismus
Als mein Sohn gerade keine Windel mehr trug waren wir auf dem Weg zu Freunden. Kurz vorher fragte er mich, ob die eigentlich auch eine Toilette hätten. Ich musste ein bisschen schmunzeln, aber der Gedanke ist durchaus ernstzunehmen. Woher sollter er das denn wissen? Nimm dein Kind bei jeder Gelegeheit mit, sich das stille Örtchen anzusehen. So signalisierst du: Für jede Gelegenheit ist gesorgt.
Keine Belohnungen oder Strafen!
Beim Trockenwerden handelt es sich um einen natürlichen Vorgang, der höchtstens Zeit aber keinerlei Manipulationsversuche seitens ungeduldiger Vertrauenspersonen bedarf. Eher ist es wichtig, dass du akzeptierst, dass dein Kind noch nicht so weit ist. Kein Kind macht freiwillig oder aus “Trotz” in die Windel!
Ggf. Hilfe in Anspruch nehmen
Wenn du dir unsicher bist, ob im Bezug auf Blasen-und Darmkontrolle bei deinem Kind alles in Ordnung ist, frag lieber einmal beim Kinderarzt um Rat anstatt dich unnötig unter Druck zu setzen.
Habt Spaß zusammen
und genießt das Leben. Gemeinsame Erlebnisse sind so viel mehr wert als ein möglichst früher Zeitpunkt zum Trockensein!
Ich hoffe, ich konnte ein paar Fragen beantworten und Unklarheiten ausräumen. Wenn ihr Fragen oder Anregungen zu dem Thema habt, lasst mir gerne einen Kommentar da…